Sie kommt am 14. November. Oder, besser gesagt, an diesem Tag will die
Regierung die Studien vorstellen, die sie vom Lieblingskind des Gotha, Jeremy Rifkin, Autor und Meister im
„story-telling“ und von einer Auswahl von „300 sozioökonomischen Akteuren“ unter
der Mitarbeit des Wirtschaftsministeriums, der Handelskammer und des IMS
–Luxembourg (Inspiring More Sustainability) hat ausarbeiten lassen. Ganz
nebenbei: Kräfte aus der Arbeitswelt waren nicht beteiligt. Es soll eine
Strategie entwickelt werden, um der Dritten Industriellen Revolution in
Luxemburg zu begegnen.
Dann soll es noch eine öffentliche Veranstaltungen zum Thema „Wat fir ee
qualitative Wuesstem fir eist Land?“ geben, die sich um Fragen der
Landesplanung dreht.
Was braut sich da zusammen?
Ganz allgemein gesprochen, kann der Begriff der 3. Industriellen Revolution
(Informations- und Kommunikationstechnologien) als materiell existent, also
begrifflich als gültig angesehen werden. Rifkin steckt aber auch noch
wünschenswerte Ziele in den Begriff hinein, u.a. solche, die ökologische und
energetische Fragen betreffen: die Umrüstung der Gebäude zu kleinen
elektrischen Zentralen z.B., im Übrigen ein erstrebenswertes Ziel. Wirklich
bekannt wurde er durch seine Prognose zum Ende der Arbeit.
Wie weit hat Jeremy Rifkin die Luxemburgs Regierenden und Wirtschaftskreise
bezirzt? Er wirbt für eine sehr demokratische, horizontale Gesellschaft, er
selber aber gefällt sich ganz vertikal in seiner Rolle als Guru bei Angela Merkel,
Rocard, Neelie Kroes, Barroso, Cameron, Papandreu, eine Rolle, die er sich auch
gut bezahlen lässt.
Nun aber konkreter: die neuen Technologien haben ganz rezente Phänomene erst
möglich gemacht, die da heißen: uberization, AirBnB, BlaBlacar, Yopijob,
Frizbiz, ... Alles Phänomene, die die soziale Zersetzung fördern, die legale
Arbeitszeit, den Mindestlohn, die Arbeitslosenrechte, die Sozialversicherungen
in Frage stellen; aber sie sind doch sooo modern und cool. Am Mittwoch noch
hatte der Präsident des OGB-L vor den neuerlichen Interessen von Uber an dem
Luxemburger Taxigewerbe gewarnt. Auch in dieser Gestalt der „kollaborativen
Wirtschaft“ ist die „3. Industrielle Revolution“ bei uns angekommen. Und die
Regierung sucht nach neuen Nischen...die Gurus sind gefragt.
Das Paradoxon von Solow
Es muss hier noch eine wirtschaftstheoretische Frage angeschnitten werden,
ohne die der Radau, der im November um Rifkins Botschaften zu erwarten ist,
nicht im rechten Licht gesehen werden kann. Stimmt es überhaupt, dass wir durch
Robotisierung, 3D-Drucker, Energieversorgung in Eigenregie, e-Kommerz usw. dem
Ende der Arbeit entgegen gehen? Eine solche Analyse bringt manche Blüten
hervor, wie die des bedingungslosen Grundeinkommens, die unter den gegebenen
historischen Umständen, nämlich dem Überleben des Neoliberalismus und des
schlechten Kräfteverhältnisses zwischen Arbeit und Kapital in den Schoss der
bürgerlichen Kräfte arbeiten, die uns beherrschen.
Robert Solow, „Nobel“preisträger von Harvard, der sich mit
Wachstumstheorien befasste, hatte festgestellt: „Das Computerzeitalter kann man
überall feststellen, nur nicht in den Statistiken des Produktivitätsgewinne.“
Dies hatte er zwar später relativiert, einige Produktivitätsgewinne hatte es
doch wohl mit der Informatisierung gegeben. Die Wiederherstellung der
Profitrate stammt aber wohl eher aus der Welle von Konterreformen der letzten
30 Jahre. Heute wird Solows Paradoxon neu verwendet auf die Robotisierung, die
Automatisierung, die big data usw. Jedenfalls ist die kapitalistische
Weltwirtschaft seit längerer Zeit in einer Phase, die die einen „stagnation
séculaire“ nennen, andere, wie Frau Lagarde, nennen es in verhaltenen Worten
„neue Mittelmäßigkeit“. Die neuen Technologien vernichten Arbeitsplätze und
steigern wohl die Produktivität. Doch stellt sich die Frage, ob sie auch die
Rendite erhöhen, ob sie überhaupt recht vom Kapitalismus verwertet werden
können. Als Symbolbeispiel: der Roboter stellt eine Investition dar, fordert
aber keinen Lohn und er mag schnell und gut produzieren. Doch er hat keine
Kaufkraft und die Arbeiter, die er ersetzte haben möglicherweise auch keine
Kaufkraft mehr. Das Ende der Arbeit prophezeit nicht nur Rifkin. Andere machen
die wildesten Hochrechnungen, dass bis zu 50% der Arbeitsplätze vernichtet
werden könnten.
Warum also Stagnation? Warum
die Profitsucht? Warum Wachstumswahn?
Die Stagnation rührt wohl daher, dass die aktuelle technologische
Revolution nicht dieselbe Hebelwirkung für wirtschaftliches Wachstum hat, wie
vorher etwa die Mechanisierung, die Elektrifizierung, das Automobil und die
Ölförderung. Es genügt nicht für einen aufsteigenden Kondratieffzyklus. Hinzu
kommt, dass Wachstum endlich ist und dass wir die ersten Effekte der
Endlichkeit der nicht erneuerbaren Ausbeutung der Natur erleben. Der
Kapitalismus kann ohne Wachstum nicht leben, ohne Wachstum wird es keinen
Profit mehr geben. Auch die Gurus können ihm da nicht helfen. Oder doch?
Wir aber könnten ohne den kriselnden Kapitalismus leben, im Einklang mit der
Natur und in sozialer Gerechtigkeit.
Ein Aspekt ist übrigens auch beim Engagement Rifkins in Luxemburg
paradoxal. Er, der Professor des Endes der Arbeit muss in einem Land operieren,
in dem die Schaffung neuer Arbeitsplätze ihresgleichen sucht. Und doch ist
Luxemburg hochgradig vernetzt und technologisch wohl kaum stecken geblieben. Er
wird dafür eine Erklärung finden.
Warum dieser Artikel?
Weil das, was derzeit unter Rifkins Inspiration in den Kreisen der
Regierung und der Wirtschaft - unter Ausschluss des Salariats - besprochen wird,
durchaus einen konkrete Niederschlag in der praktischen Politik haben kann. Und
zwar nicht in der Richtung, die man sich wünschen würde. Gegenüber der
Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen und der steigenden sozialen Ungleichheit
und der wachsenden Armut gibt es eine einleuchtende Lösung: Aufteilung.
Aufteilung der Arbeit auf alle Hände durch eine entsprechende Senkung der
Arbeitszeit, Aufteilung des Einkommens durch eine massive Erhöhung der
Mindestlöhne. Diese Lösungen stehen bestimmt nicht einmal zur Diskussion. Sie
müssen zurück in die öffentliche Diskussion. Zur Erinnerung: im 20. Jahrhundert
multiplizierte sich die Arbeitsproduktivität um Faktor 13,6 pro Stunde; die
durchschnittliche Arbeitszeit fiel um 44%.
Aufgepasst! Jeremy Rifkin ist nicht irgendein neoliberaler Futzy. Seine
Vorschläge sind oft bestechend und einleuchtend. Sie beschäftigen manche Große
dieser Erde und enthalten auch durchaus Elemente, die nicht uninteressant sind.
*) Rifkin ist auch nicht einfach ein Scharlatan oder gar Rasputin. Es kann aber
nicht sein, dass ihm, der Regierung und dem Patronat allein die Diskussion über
Entwicklungsfragen mit schicksalhafter Bedeutung überlassen werden. So schwach
und so arm ist die Linke auch wieder nicht, dass sie nur betreten schweigen
kann. Spätestens im November heißt es, sich zu Wort melden und zwar lautstark.
Deshalb dieser Artikel als Anstoß.
Frank Jost 10.10.2016
*) Rifkins Arbeit über den „Coût marginal zéro“ lässt die Schlussfolgerung zu,
dass zukünftig kein Kapitalismus mehr möglich sein kann. Immerhin ein
interessanter Ansatz.
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