Man nehme ein brach liegendes Terrain von 10,5 ha und versuche dieses in ein integriertes Stadtentwicklungskonzept einzubauen, das den Erfordernissen der Verkehrsplanung, der Beschaffung bezahlbaren Wohnraums, der ökologischen Nachhaltigkeit, der Bildungspolitik, der harmonischen Einfügung in die angrenzenden Viertel, der Garantie einer Sozialisierung der Menschen innerhalb des neuen Viertels und ihrer Versorgung im kleinen Raum entspricht und das den Stellenwert des neuen Viertels im gesamten städtischen Leben und Wirtschaften deutlich umreißt.
Um diesen Anforderungen gerecht zu werden bedarf es eines gewieften Kochs
oder einer gewieften Köchin, einer breiten Bürgerbeteiligung und einer
weitsichtigen öffentlichen Stadtentwicklungspolitik, die das ganze Projekt
patroniert und leitet.
Privatisierte Stadtentwicklung
Die Pläne, die vom 18. Januar bis zum 15 Februar zum öffentlichen Einspruch
vorlagen (PAP-Projekt – plan d’aménagement particulier) und in der Infofabrik
in der Alzettestraße ausgestellt waren (sie sind bereits abgebaut) wurden vom
Immobilienmogul Lux und seiner Firma IKO real estate und von diesen
beauftragten Architektenbüros und anderen Beratern ausgearbeitet. Es gab einige
Vorgaben, die sich aus dem PAG (plan d’aménagement général) ergaben:
erhaltenswerte Bauwerke aus der industriellen Vergangenheit der Lëns, allgemeine
Baudichte, Servitüden... Lux wollte 250 Wohnungen pro Hektar, der Gemeinderat
hatte diese Dichte auf 160 begrenzt. Lux hatte dagegen nichts einzuwenden; es
gehört zum Spiel: Man gibt eine sehr hohe Dichte vor um sich dann mit dem zu
begnügen, was für einen guten gesicherten Gewinn notwendig ist.
Betrachtet man nun die obigen Zutaten für ein gutes Entwicklungskonzept,
dann fällt gleich auf, dass einige davon einen privaten Promotor gar nicht
interessieren müssen. Das betrifft die Verkehrsplanung, die zwar im Innern des
Viertels klappen muss, doch Einfahrten in das Viertel und Ausfahrten, Anbindung
an die angrenzenden Viertel und Auswirkungen auf diese, das alles geht Lux nun
wirklich nichts an.
Auch die Frage des bezahlbaren Wohnraums betrifft ihn nur wenig. 10% oder
30% bezahlbarer Wohnraum? IKO real estate betreut keine bezahlbare Wohnungen.
Sie wird Wohnraum erstellen und sie an private oder öffentliche Eigner mit
Gewinn verkaufen. Die Gewinnmarge liegt in Luxemburg bei runden 30%, wobei
etwaige Fehlentwicklungen, wie Verspätungen und Nachbesserungen noch abzüglich
sind.
Die Sichtweise, einer gewinnbringenden privaten Entwicklung eines Viertels
und die einer gut geführten öffentlichen Stadtplanung, unterscheidet sich
eigentlich in allen Sparten eines solchen großen Vorhabens. Eine bedeutende
Einschränkung gibt es: der Gemeinderat kann auf den PAP stark einwirken. Die
Prozedur ist kurzgefasst die folgende: Nachdem die Frist der Einsprüche
abgelaufen ist, verschickt die Gemeinde den Vorentwurf des PAP an die „cellule
d’évaluation“ des Innenministeriums. Dieses Gremium ist nur beratend und eher
ländlich-konservativ eingestellt. 2. Der Gemeinderat stimmt die „saisine“ des
PAP in der Fassung wie er vorliegt. „saisine“ bedeutet eigentlich nur: „wir
sind damit befasst“. Dann erst beginnt die gründliche Begutachtung durch die
Stadtverwaltung die dann später mit einem Votum in Gemeindeart abgeschlossen
wird.
Die Wohnungsfrage
Die bisherigen gesetzlichen Vorgaben in Sachen bezahlbarer Wohnungsbau
schrieben vor, dass, bei großen Bauvorhaben, 10% der Wohnungen den Kriterien des
sozialen Wohnungsbau entsprechen müssen (Vergabe an Haushalte, die eine gewisse
Einkommensgrenze nicht überschreiten). 4 von 5 Fraktionen im Escher Gemeinderat
hatten in den letzten 20 Jahren eine gemeinsame Kontinuität in der Frage der
Beschaffung bezahlbaren Wohnraums, nämlich die, dass man ihn möglichst nicht
beschaffen sollte. Esch sollte mehr wohlhabende Einwohner erhalten, sollte
bürgerlicher werden, wie die Hauptstadt und ihr Speckgürtel. Auf die staatliche
Subventionierung von 75% wurde glattweg verzichtet, was ein starkes Stück ist,
denn neue soziale Wohnungen bringen den Gemeinden einen finanziellen Gewinn und
einen Gewinn an Patrimonium. So sank die Zahl der gemeindeeignen Mietwohnungen
immer mehr, und es wurden keine neuen Projekte dieser Art angegangen. In den
Nonnewisen (Zaepert) wurden zwar auch Wohnungen geschaffen, die den gesetzlichen
Bestimmungen des sozialen Charakters entsprachen, aber vom Fonds de Logement
vornehmlich zum Kauf angeboten. Der größte Mangel in Luxemburgs Wohnungsmisere besteht
aber gerade bei den bezahlbaren Mietwohnungen. In Esch sind 38% der Haushalte
Mieter.
Im Falle der roud Lëns stellt sich nun die Frage, ob die Politik der
„gentrification“ noch weitergeführt werden kann. Haltbar ist sie schon lange
nicht mehr. Die Sozialisten scheinen ihre Haltung aufgegeben zu haben. Tun dies
auch die Grünen?
Die brennende Aktualität könnte Abhilfe schaffen. Am 1. März treten die 4
Sektorenpläne der Landesplanung in Kraft. Einer davon ist der Sektorenplan des
Wohnungsbaus. Er sieht vor, dass bei Großprojekten 30% der Bruttofläche für
bezahlbare Wohnungen verwendet werden muss. Das klingt nicht schlecht. Die Art
der Ausführung dieses chiffrierten Prinzips birgt berechtige Zweifel. Der Staat
und die Gemeinden verzichten weitgehend auf die eigene Aktion, vertrauen den
Wohnungsbau den Baulöwen an und kaufen diesen dann gegen gutes Geld die
Wohnungen ab. Wie wird das Verhältnis von Verkauf und Miete sein? Was hat es zu
bedeuten, dass die Deponierung von Luxens PAG einen Monat und der Ablauf der
Reklamationspflicht ein paar Tage vor dem 1.März, dem Datum des Inkrafttretens
der sektoriellen Pläne erfolgt? Wachsamkeit ist geboten.
Die ungelöste Verkehrsfrage
Auf der französischen Seite werden in den nächsten Jahren 8.000 neue
Wohnungen gebaut. Dies ist Teil eines national prioritären Entwicklungsplans,
der von Präsident Sarkozy eingeleitet worden war und unter seinen Nachfolgern
Hollande und Macron weitergeführt wurde. Die nahe Grenzregion wird mit einigen
Jahren Verspätung auf Luxemburgs Süden eine neue Dynamik entfalten. Bereits
jetzt legen die Bevölkerungszahlen, nach einer langen Zeit der Regression,
wieder zu. Ein paar hundert Meter von der rout Lëns soll auf dem Gelände der
„mines françaises de l’ARBED“ ein Entwicklungsprojekt entstehen, das die Arcelor-Mittal
als Wohnungsbauprojekt sieht, die Stadtverwaltung von Audun-le-Tiche als eine
Mischung von Wohnungen und einem Cluster rundum die neuen Umwelttechnologien.
In beiden Fällen wird neuer Verkehr aufkommen. Mit den französischen Nachbarn
wurde diese Frage – nur kleiner Grenzverkehr oder, wie bisher, endlose
Wagenkolonnen – wohl kaum erörtert, geschweige denn gemeinsam geplant. Die
Anbindung der rout Lëns an das gewachsene Escher Stadtbild ist angedeutet aber
nicht ausgeplant...das ist auch nicht die Kernaufgabe des Promotors. In unseren
Augen ist die geplante Abschaffung der Bahnlinie nach Audun und ihr Ersetzen
durch Gelenkbusse ein Rückschritt, der auch auf heftigste Proteste dreier
französischer Gemeinden und der luxemburgischen Eisenbahner stößt.
Die Reklamationen
Soweit zu erfahren ist, richten sich die Reklamationen gegen die hohen
Bauten (bis zu 19 Stockwerken), gegen die zu gnädig gewährten Quoten für
Geschäftsflächen in dem Teil des PAP der nahe der place de la Frontière liegt
(etwa 3000 qm Verkaufsfläche, fast soviel wie in Belval oder
Auchan-Differdingen) der den Geschäften im Stadtzentrum nochmals Konkurrenz
machen würde. Es stimmt, dass solche Flächen weit über das Maß einer gesunden
Proximitätsversorgung der Einwohner von Hiehl und rout Lëns hinausreichen. Die
Hiehler Bürgerinitiative klagt gegen die Begrenzung der Park- oder
Garagenplätze auf eine Einheit pro Wohnung, da sie zu einer Jagd um die
Parkplätze in den umliegenden Vierteln führen würde. Der zuständige Schöffe
argumentiert, es würde in 20 Jahren keine Autos mehr geben (?). Positiv ist,
dass alle Stellplätze unter den Wohnungen liegen, also keine Autos mehr den
öffentlichen Raum besetzen sollen. Dann scheint es noch die Reklamation zur
ungenügenden Quote von 10% bezahlbarem Wohnraum zu geben, die nun möglicherweise
neu beleuchtet werden muss.
Die Anpassung an den
Klimawandel
Wir leben in einer Zeit, wo der Klimawandel bereits eine Realität ist und
sich weiter und stärker ausweiten wird. Jedes urbane Projekt muss dem Klimawandel
bereits jetzt Rechnung tragen. Ist dies im PAG rout Lëns der Fall? Die Zweifel
sind berechtigt.
Wir wollen uns auf das Wichtigste beschränken:
1. Gibt es eine Studie zur Belüftung des Viertels, der vorherrschenden
Luftströme und gibt es eine Anpassung der großen Bauten an diese Ströme?
2. Gibt es deutliche Vorgaben für die, zu verwendenden hellen Farben der
Gebäude und der versiegelten Belage, die ein Aufspeichern von Hitze in der
Bausubstanz verhindern und es erlauben, dass in den Sommern die Nächte
abkühlen?
3. Gibt es eine genügende Begrünung der Viertels. Uns scheint, dass die
ursprünglich angekündigte Anzahl an Bäumen reduziert wurde.
4. Gibt es ein Konzept, durch fließendes Wasser im Viertel, die
Temperaturen bei Hitzewellen zu drücken?
Zu Punkt 4 gibt ein solches Konzept nicht, hingegen gibt es Augenwischerei.
Das eindrucksvollste Bild im von IKO real estate geformten Narrativ des
zukünftigen Lebens im Viertel ist das von zwei Kindern, die auf einem Steg am
Rande eines Sees angeln. Es gibt im PAG keinen See und es wird demnach keinen
Steg und kein Angeln geben. Angedeutet wird eine Idylle von einer Umwandlung
des ehemaligen ERA-Geländes jenseits der Straße N7 und jenseits der Grenze.
Dieses Gelände betrifft also nicht den PAG wenngleich seine grenzüberschreitende
Erschließung als wasserreiche Erholungszone höchst wünschenswert ist. Im PAG
erscheinen allerdings einige blauen Flecken, die kleine Wasserflächen andeuten.
In Wirklichkeit sind diese Flächen vorgeschriebene Auffangbecken bei
Starkregenepisoden. Ihre Funktion ist es also 11 Monate von 12 trocken zu sein.
Ein Vorschlag an die Planer der IKO: Schauen Sie sich bitte die derzeitige
Ausstellung über historische Filmkulissen Luxemburgs im Ratskeller des
Cercle-Gebäudes in der Hauptstadt an. Dort sind die genialen Kulissen zur
Verfilmung von Shakespeares „merchant of
Venice“ (und weiterer Filme) gut dokumentiert, die einst auf der Brache von
Terre Rouge errichtet worden waren. Es geht wohl nicht an, auf der rout Lëns
Gondeln fahren zu lassen, aber diese Kulisse kann inspirierend sein z.B. um
heraus zu finden, wo damals die 6.000
Fuder Wasser herkamen, die die Kanäle füllten und von dem ein klitzekleiner
Teil im neuen Viertel rout Lëns sprudeln könnte.
Frank Jost
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen