Sonntag, 28. Februar 2021

Rout Lënsenzopp

Man nehme ein brach liegendes Terrain von 10,5 ha und versuche dieses in ein integriertes Stadtentwicklungskonzept einzubauen, das den Erfordernissen der Verkehrsplanung, der Beschaffung bezahlbaren Wohnraums, der ökologischen Nachhaltigkeit, der Bildungspolitik, der harmonischen Einfügung in die angrenzenden Viertel, der Garantie einer Sozialisierung der Menschen innerhalb des neuen Viertels und ihrer Versorgung im kleinen Raum entspricht und das den Stellenwert des neuen Viertels im gesamten städtischen Leben und Wirtschaften deutlich umreißt.

 

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden bedarf es eines gewieften Kochs oder einer gewieften Köchin, einer breiten Bürgerbeteiligung und einer weitsichtigen öffentlichen Stadtentwicklungspolitik, die das ganze Projekt patroniert und leitet.

 

Privatisierte Stadtentwicklung

Die Pläne, die vom 18. Januar bis zum 15 Februar zum öffentlichen Einspruch vorlagen (PAP-Projekt – plan d’aménagement particulier) und in der Infofabrik in der Alzettestraße ausgestellt waren (sie sind bereits abgebaut) wurden vom Immobilienmogul Lux und seiner Firma IKO real estate und von diesen beauftragten Architektenbüros und anderen Beratern ausgearbeitet. Es gab einige Vorgaben, die sich aus dem PAG (plan d’aménagement général) ergaben: erhaltenswerte Bauwerke aus der industriellen Vergangenheit der Lëns, allgemeine Baudichte, Servitüden... Lux wollte 250 Wohnungen pro Hektar, der Gemeinderat hatte diese Dichte auf 160 begrenzt. Lux hatte dagegen nichts einzuwenden; es gehört zum Spiel: Man gibt eine sehr hohe Dichte vor um sich dann mit dem zu begnügen, was für einen guten gesicherten Gewinn notwendig ist.

 

Betrachtet man nun die obigen Zutaten für ein gutes Entwicklungskonzept, dann fällt gleich auf, dass einige davon einen privaten Promotor gar nicht interessieren müssen. Das betrifft die Verkehrsplanung, die zwar im Innern des Viertels klappen muss, doch Einfahrten in das Viertel und Ausfahrten, Anbindung an die angrenzenden Viertel und Auswirkungen auf diese, das alles geht Lux nun wirklich nichts an.

 

Auch die Frage des bezahlbaren Wohnraums betrifft ihn nur wenig. 10% oder 30% bezahlbarer Wohnraum? IKO real estate betreut keine bezahlbare Wohnungen. Sie wird Wohnraum erstellen und sie an private oder öffentliche Eigner mit Gewinn verkaufen. Die Gewinnmarge liegt in Luxemburg bei runden 30%, wobei etwaige Fehlentwicklungen, wie Verspätungen und Nachbesserungen noch abzüglich sind.

 

Die Sichtweise, einer gewinnbringenden privaten Entwicklung eines Viertels und die einer gut geführten öffentlichen Stadtplanung, unterscheidet sich eigentlich in allen Sparten eines solchen großen Vorhabens. Eine bedeutende Einschränkung gibt es: der Gemeinderat kann auf den PAP stark einwirken. Die Prozedur ist kurzgefasst die folgende: Nachdem die Frist der Einsprüche abgelaufen ist, verschickt die Gemeinde den Vorentwurf des PAP an die „cellule d’évaluation“ des Innenministeriums. Dieses Gremium ist nur beratend und eher ländlich-konservativ eingestellt. 2. Der Gemeinderat stimmt die „saisine“ des PAP in der Fassung wie er vorliegt. „saisine“ bedeutet eigentlich nur: „wir sind damit befasst“. Dann erst beginnt die gründliche Begutachtung durch die Stadtverwaltung die dann später mit einem Votum in Gemeindeart abgeschlossen wird.

 

Die Wohnungsfrage

Die bisherigen gesetzlichen Vorgaben in Sachen bezahlbarer Wohnungsbau schrieben vor, dass, bei großen Bauvorhaben, 10% der Wohnungen den Kriterien des sozialen Wohnungsbau entsprechen müssen (Vergabe an Haushalte, die eine gewisse Einkommensgrenze nicht überschreiten). 4 von 5 Fraktionen im Escher Gemeinderat hatten in den letzten 20 Jahren eine gemeinsame Kontinuität in der Frage der Beschaffung bezahlbaren Wohnraums, nämlich die, dass man ihn möglichst nicht beschaffen sollte. Esch sollte mehr wohlhabende Einwohner erhalten, sollte bürgerlicher werden, wie die Hauptstadt und ihr Speckgürtel. Auf die staatliche Subventionierung von 75% wurde glattweg verzichtet, was ein starkes Stück ist, denn neue soziale Wohnungen bringen den Gemeinden einen finanziellen Gewinn und einen Gewinn an Patrimonium. So sank die Zahl der gemeindeeignen Mietwohnungen immer mehr, und es wurden keine neuen Projekte dieser Art angegangen. In den Nonnewisen (Zaepert) wurden zwar auch Wohnungen geschaffen, die den gesetzlichen Bestimmungen des sozialen Charakters entsprachen, aber vom Fonds de Logement vornehmlich zum Kauf angeboten. Der größte Mangel in Luxemburgs Wohnungsmisere besteht aber gerade bei den bezahlbaren Mietwohnungen. In Esch sind 38% der Haushalte Mieter.

 

Im Falle der roud Lëns stellt sich nun die Frage, ob die Politik der „gentrification“ noch weitergeführt werden kann. Haltbar ist sie schon lange nicht mehr. Die Sozialisten scheinen ihre Haltung aufgegeben zu haben. Tun dies auch die Grünen?

 

Die brennende Aktualität könnte Abhilfe schaffen. Am 1. März treten die 4 Sektorenpläne der Landesplanung in Kraft. Einer davon ist der Sektorenplan des Wohnungsbaus. Er sieht vor, dass bei Großprojekten 30% der Bruttofläche für bezahlbare Wohnungen verwendet werden muss. Das klingt nicht schlecht. Die Art der Ausführung dieses chiffrierten Prinzips birgt berechtige Zweifel. Der Staat und die Gemeinden verzichten weitgehend auf die eigene Aktion, vertrauen den Wohnungsbau den Baulöwen an und kaufen diesen dann gegen gutes Geld die Wohnungen ab. Wie wird das Verhältnis von Verkauf und Miete sein? Was hat es zu bedeuten, dass die Deponierung von Luxens PAG einen Monat und der Ablauf der Reklamationspflicht ein paar Tage vor dem 1.März, dem Datum des Inkrafttretens der sektoriellen Pläne erfolgt? Wachsamkeit ist geboten.

 

Die ungelöste Verkehrsfrage

Auf der französischen Seite werden in den nächsten Jahren 8.000 neue Wohnungen gebaut. Dies ist Teil eines national prioritären Entwicklungsplans, der von Präsident Sarkozy eingeleitet worden war und unter seinen Nachfolgern Hollande und Macron weitergeführt wurde. Die nahe Grenzregion wird mit einigen Jahren Verspätung auf Luxemburgs Süden eine neue Dynamik entfalten. Bereits jetzt legen die Bevölkerungszahlen, nach einer langen Zeit der Regression, wieder zu. Ein paar hundert Meter von der rout Lëns soll auf dem Gelände der „mines françaises de l’ARBED“ ein Entwicklungsprojekt entstehen, das die Arcelor-Mittal als Wohnungsbauprojekt sieht, die Stadtverwaltung von Audun-le-Tiche als eine Mischung von Wohnungen und einem Cluster rundum die neuen Umwelttechnologien. In beiden Fällen wird neuer Verkehr aufkommen. Mit den französischen Nachbarn wurde diese Frage – nur kleiner Grenzverkehr oder, wie bisher, endlose Wagenkolonnen – wohl kaum erörtert, geschweige denn gemeinsam geplant. Die Anbindung der rout Lëns an das gewachsene Escher Stadtbild ist angedeutet aber nicht ausgeplant...das ist auch nicht die Kernaufgabe des Promotors. In unseren Augen ist die geplante Abschaffung der Bahnlinie nach Audun und ihr Ersetzen durch Gelenkbusse ein Rückschritt, der auch auf heftigste Proteste dreier französischer Gemeinden und der luxemburgischen Eisenbahner stößt.

 

Die Reklamationen

Soweit zu erfahren ist, richten sich die Reklamationen gegen die hohen Bauten (bis zu 19 Stockwerken), gegen die zu gnädig gewährten Quoten für Geschäftsflächen in dem Teil des PAP der nahe der place de la Frontière liegt (etwa 3000 qm Verkaufsfläche, fast soviel wie in Belval oder Auchan-Differdingen) der den Geschäften im Stadtzentrum nochmals Konkurrenz machen würde. Es stimmt, dass solche Flächen weit über das Maß einer gesunden Proximitätsversorgung der Einwohner von Hiehl und rout Lëns hinausreichen. Die Hiehler Bürgerinitiative klagt gegen die Begrenzung der Park- oder Garagenplätze auf eine Einheit pro Wohnung, da sie zu einer Jagd um die Parkplätze in den umliegenden Vierteln führen würde. Der zuständige Schöffe argumentiert, es würde in 20 Jahren keine Autos mehr geben (?). Positiv ist, dass alle Stellplätze unter den Wohnungen liegen, also keine Autos mehr den öffentlichen Raum besetzen sollen. Dann scheint es noch die Reklamation zur ungenügenden Quote von 10% bezahlbarem Wohnraum zu geben, die nun möglicherweise neu beleuchtet werden muss.

 

Die Anpassung an den Klimawandel

Wir leben in einer Zeit, wo der Klimawandel bereits eine Realität ist und sich weiter und stärker ausweiten wird. Jedes urbane Projekt muss dem Klimawandel bereits jetzt Rechnung tragen. Ist dies im PAG rout Lëns der Fall? Die Zweifel sind berechtigt.

Wir wollen uns auf das Wichtigste beschränken:

1. Gibt es eine Studie zur Belüftung des Viertels, der vorherrschenden Luftströme und gibt es eine Anpassung der großen Bauten an diese Ströme?

2. Gibt es deutliche Vorgaben für die, zu verwendenden hellen Farben der Gebäude und der versiegelten Belage, die ein Aufspeichern von Hitze in der Bausubstanz verhindern und es erlauben, dass in den Sommern die Nächte abkühlen?

3. Gibt es eine genügende Begrünung der Viertels. Uns scheint, dass die ursprünglich angekündigte Anzahl an Bäumen reduziert wurde.

4. Gibt es ein Konzept, durch fließendes Wasser im Viertel, die Temperaturen bei Hitzewellen zu drücken?

 

Zu Punkt 4 gibt ein solches Konzept nicht, hingegen gibt es Augenwischerei. Das eindrucksvollste Bild im von IKO real estate geformten Narrativ des zukünftigen Lebens im Viertel ist das von zwei Kindern, die auf einem Steg am Rande eines Sees angeln. Es gibt im PAG keinen See und es wird demnach keinen Steg und kein Angeln geben. Angedeutet wird eine Idylle von einer Umwandlung des ehemaligen ERA-Geländes jenseits der Straße N7 und jenseits der Grenze. Dieses Gelände betrifft also nicht den PAG wenngleich seine grenzüberschreitende Erschließung als wasserreiche Erholungszone höchst wünschenswert ist. Im PAG erscheinen allerdings einige blauen Flecken, die kleine Wasserflächen andeuten. In Wirklichkeit sind diese Flächen vorgeschriebene Auffangbecken bei Starkregenepisoden. Ihre Funktion ist es also 11 Monate von 12 trocken zu sein.

 

Ein Vorschlag an die Planer der IKO: Schauen Sie sich bitte die derzeitige Ausstellung über historische Filmkulissen Luxemburgs im Ratskeller des Cercle-Gebäudes in der Hauptstadt an. Dort sind die genialen Kulissen zur Verfilmung von  Shakespeares „merchant of Venice“ (und weiterer Filme) gut dokumentiert, die einst auf der Brache von Terre Rouge errichtet worden waren. Es geht wohl nicht an, auf der rout Lëns Gondeln fahren zu lassen, aber diese Kulisse kann inspirierend sein z.B. um heraus zu finden,  wo damals die 6.000 Fuder Wasser herkamen, die die Kanäle füllten und von dem ein klitzekleiner Teil im neuen Viertel rout Lëns sprudeln könnte.

 

Frank Jost

 

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