Mittwoch, 28. März 2018

Das 6. Massenaussterben laut IPBES


Es passierte zum letzten Mal vor 66 Millionen Jahren. Damals hatte wohl der Einschlag eines großen Meteoriten in der Karibik zu einer weltweiten Klimakatastrophe geführt, die das Aussterben der Dinosaurier auslöste. Es folgte eine lange Entwicklung zu einem neuen ökologischen Gleichgewicht in dem die Säugetiere dominierten und Saurier zu Vögel wurden. Die Bestäubung der Pflanzen erfolgte durch Wind, Insekten und Vögel und schuf die Lebensgrundlage für viele neue Tierarten, darunter schließlich den modernen Menschen.



Nun ist diese Entwicklung an einem Wendepunkt angekommen. Der Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services), ein zwischenstaatliches Gremium zur wissenschaftlichen Politikberatung für das Thema biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen, tagte vom 17. bis zum 24.März in Medellin (Kolumbien) in seine 6. Plenarversammlung und veröffentlichte alarmierende Berichte über den weltweiten Rückgang der Biodiversität. Das Gremium ist seit seiner Gründung 2012 noch wenig bekannt geworden. Methodische Begriffe, wie der « ökologische Fussabdruck », mit denen IPBES operiert, sind dann schon eher in den Sprachgebrauch übergegangen. Sagen wir, IPBES steht für die Biodiversität etwa wie GIEC für die Klimaforschung steht. IPBES steht unter der Schirmherrschaft der UNO und forscht nicht selber, sondern trägt die weltweiten Forschungsergebnisse zusammen. Die Synthese versucht sie in die Politik einfließen zu lassen.

Noch ist nicht ganz klar, wie Teilmeldungen über das Artensterben in den Kontext der Verschlechterung des ökologischen Fußabdrucks ein zu stufen sind. Vor einigen Monaten meldeten deutsche Institute, dass unglaubliche 75 bis 80 Prozent der Insekten in Deutschland verschwunden sind. Aus Frankreich wurde diese Feststellung insofern bestätigt, dass Zählungen von nur wenigen Insektenarten ähnliche Schlüsse ergaben. Hingegen sollen in Frankreich innerhalb von nur 15 Jahren ein Drittel der Vögel verschwunden sein. Gemeint ist die Gesamtanzahl, nicht die Zahl der Arten. Der Zusammenhang zwischen Insektensterben, Populationsschwund bei den Vögeln, Defizite in der Bestäubung und Biodiversität in der Pflanzenwelt sind offensichtlich, doch fehlen diese Meldungen an Überzeugungskraft, weil sie nicht immer durch bildhafte Beispiele unterlegt werden können, wie es im Falle der Überlebenschancen der Eisbären im Rahmen der krassen Klimaerwärmung in der nordpolaren Region augenscheinlich ist. (Übrigens sind medienwirksame Reportagen über die Lebensbedingungen der Eisbären im schwindenden Packeis in dem Sinn zu relativieren, dass es immer mehr zu einer Annäherung und sogar einer sexuellen Vermischung der Eisbären und der Schwarzbären kommt, was von einer gewissen Fähigkeit zur Anpassung an neue Verhältnisse zeugt also einer Chance zum Überleben im darwinschen Sinn.)

Die geringe Beachtung, die die Synthesen der IPBES-Plattform bisher gefunden haben, liegen aber wohl nicht nur in der Oberflächlichkeit der aktuellen Zeit mit ihrer ständigen Überflutung von Bildern und (Fake)news. Die Grundlagenforschung, auf die sich IPBES stützt, ist nun eben nicht immer intensiv genug und sie hinkt der Entwicklung hinterher. In den letzten Wochen sammelte die luxemburgische „Natur an Emwelt“, der ehemalige „Vulleschutz“,  die Resultate einer Vogelzählung zu Jahresbeginn auf freiwilliger Basis. (Aus der Presse verlautete, der Neuntöter sei in Luxemburg am Aussterben. Er ist nun Mal ein Zugvogel, der zu Jahresbeginn nicht zu Land ist. Schade um den Neuntöter (lanus collurio), ein Würger, der sich vornehmlich von Insekten ernährt! Dies mag aber eine Pressemeldung sein, die aus dem Kontext gerissen ist, lies der Alarm betreffend den Würger hat mit der Zählung nichts zu tun.) Wer sind die lobenswerten Freiwilligen, die ihre Vogelzählung melden? Doch wohl solche, die in einem Häuschen mit Vor- und Hintergarten wohnen und fleißig füttern. Andere Methoden von Natur & Emwelt, wie die Zählung bewohnter und unbewohnter Nester haben da schon einen weitaus zwingenderen wissenschaftlichen Wert.

Wie dem auch sei, der Schwund der Artenvielfalt, wie sie IPBES meldet, ist derart dramatisch, dass er einen weltweiten Aufschrei auslösen müsste und Massendemos gegen die Weigerung der EU, den Glyphosat in der Landwirtschaft endlich zu verbieten. Von den 5 Weltregionen, die IPBES klassifiziert hat, sind 4 im ökologischen Defizit, will heißen, sie verbrauchen mehr natürliche Ressourcen als sie Reserven haben. In Nordamerika ist das Defizit riesig, in Europa groß genug, in Asien steigend seit 1965, in Afrika erst seit 2005 existent und nur in Lateinamerika-karibik noch positiv. In Europa will das heißen: Jeder Europäer konsumiert die Entsprechung von 4,9 „globalen Hektaren“ („hag“), kann aber nur 3,2 hag produzieren. Nur in Lateinmerika-Karibik gibt es noch, trotz des Schwundes der Amazonas-Regenwälder, eine Reserve, die aber ebenfalls rückläufig ist.

Nun wäre es an der Zeit, sich mit diesen Begriffen vertrauter zu machen und im eigenen Lebensraum Ansätze zur politischen Aktion zu finden. Es sieht danach aus, als würde die ganze ökologische Frage mit Klimaveränderung, Artensterben, Vernichtung der Regenwälder, Ausfischen und Vermüllung der Meere, „landrabbing“, Vergiftung der Böden,...sich zu einer barbarischen Zerstörung der Lebensräume verdichtet und letztlich nur in einer humanitären Katastrophe enden kann.

Die Kräfteverhältnisse sind nicht gut, sie müssen erst aufgebaut werden. Der Kapitalismus hat die Erfassung aller Erdengebiete bis auf die letzte Parzelle ebenso in seinen Genen, wie allgemein das ungebremste Wachstum. Noch ist der Neoliberalismus auf dem Vormarsch, der erworbene Rechte der Schaffenden zurückdrängt, was Entmutigung, Individualisierung und Desorganisierung zur Folge hat und nicht der gesunde Nährboden bietet für eine dringend notwendige Fusion der sozialen und ökologischen Kämpfe.

Dennoch muss auf den verschiedenen Ebenen, der altermundialistischen, der nationalen und der lokalen Ebene gegen diese verhängnisvollen Entwicklungen gekämpft werden. Als Beispiel in Sachen Artenvielfalt fällt mir die kommunale Ebene ein: im städtischen Bereich ist die Biodiversität manchmal grösser als in der öden expansiven Landwirtschaft, vorausgesetzt, es werden auch die entsprechenden Maßnahmen innerorts und um die Wohngebiete herum ergriffen... Dann hätte auch der Neuntöter wieder eine Chance. In Erwartung einer solchen neuen Politik installiert die Escher Stadtverwaltung kurzlebige und scheinbare Gärten auf den Asphalt und die Einwohner bedecken ihre Vorgärten mit Tonnen von schlackenfarbigen Bruchsteinchen damit kein Kraut aufkommt.

(www.ipbes.net , le Monde)

28.3.2018

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