Es passierte zum letzten Mal vor 66 Millionen Jahren. Damals hatte wohl der
Einschlag eines großen Meteoriten in der Karibik zu einer weltweiten
Klimakatastrophe geführt, die das Aussterben der Dinosaurier auslöste. Es folgte
eine lange Entwicklung zu einem neuen ökologischen Gleichgewicht in dem die
Säugetiere dominierten und Saurier zu Vögel wurden. Die Bestäubung der Pflanzen
erfolgte durch Wind, Insekten und Vögel und schuf die Lebensgrundlage für viele
neue Tierarten, darunter schließlich den modernen Menschen.
Nun ist diese Entwicklung an einem Wendepunkt angekommen. Der
Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Science-Policy
Platform on Biodiversity and Ecosystem Services), ein zwischenstaatliches Gremium zur
wissenschaftlichen Politikberatung für das Thema biologische Vielfalt und
Ökosystemleistungen, tagte vom 17. bis zum 24.März in Medellin (Kolumbien) in
seine 6. Plenarversammlung und veröffentlichte alarmierende Berichte über den
weltweiten Rückgang der Biodiversität. Das Gremium ist seit seiner Gründung
2012 noch wenig bekannt geworden. Methodische Begriffe, wie der
« ökologische Fussabdruck », mit denen IPBES operiert, sind dann
schon eher in den Sprachgebrauch übergegangen. Sagen wir, IPBES steht für die
Biodiversität etwa wie GIEC für die Klimaforschung steht. IPBES steht unter der
Schirmherrschaft der UNO und forscht nicht selber, sondern trägt die weltweiten
Forschungsergebnisse zusammen. Die Synthese versucht sie in die Politik
einfließen zu lassen.
Noch ist nicht ganz klar, wie Teilmeldungen über das Artensterben in den
Kontext der Verschlechterung des ökologischen Fußabdrucks ein zu stufen sind.
Vor einigen Monaten meldeten deutsche Institute, dass unglaubliche 75 bis 80
Prozent der Insekten in Deutschland verschwunden sind. Aus Frankreich wurde
diese Feststellung insofern bestätigt, dass Zählungen von nur wenigen
Insektenarten ähnliche Schlüsse ergaben. Hingegen sollen in Frankreich
innerhalb von nur 15 Jahren ein Drittel der Vögel verschwunden sein. Gemeint
ist die Gesamtanzahl, nicht die Zahl der Arten. Der Zusammenhang zwischen
Insektensterben, Populationsschwund bei den Vögeln, Defizite in der Bestäubung
und Biodiversität in der Pflanzenwelt sind offensichtlich, doch fehlen diese
Meldungen an Überzeugungskraft, weil sie nicht immer durch bildhafte Beispiele
unterlegt werden können, wie es im Falle der Überlebenschancen der Eisbären im
Rahmen der krassen Klimaerwärmung in der nordpolaren Region augenscheinlich
ist. (Übrigens sind medienwirksame Reportagen über die Lebensbedingungen der
Eisbären im schwindenden Packeis in dem Sinn zu relativieren, dass es immer
mehr zu einer Annäherung und sogar einer sexuellen Vermischung der Eisbären und
der Schwarzbären kommt, was von einer gewissen Fähigkeit zur Anpassung an neue
Verhältnisse zeugt also einer Chance zum Überleben im darwinschen Sinn.)
Die geringe Beachtung, die die Synthesen der IPBES-Plattform bisher
gefunden haben, liegen aber wohl nicht nur in der Oberflächlichkeit der
aktuellen Zeit mit ihrer ständigen Überflutung von Bildern und (Fake)news. Die
Grundlagenforschung, auf die sich IPBES stützt, ist nun eben nicht immer
intensiv genug und sie hinkt der Entwicklung hinterher. In den letzten Wochen sammelte
die luxemburgische „Natur an Emwelt“, der ehemalige „Vulleschutz“, die Resultate einer Vogelzählung zu
Jahresbeginn auf freiwilliger Basis. (Aus der Presse verlautete, der Neuntöter
sei in Luxemburg am Aussterben. Er ist nun Mal ein Zugvogel, der zu
Jahresbeginn nicht zu Land ist. Schade um den Neuntöter (lanus collurio), ein
Würger, der sich vornehmlich von Insekten ernährt! Dies mag aber eine
Pressemeldung sein, die aus dem Kontext gerissen ist, lies der Alarm betreffend
den Würger hat mit der Zählung nichts zu tun.) Wer sind die lobenswerten
Freiwilligen, die ihre Vogelzählung melden? Doch wohl solche, die in einem
Häuschen mit Vor- und Hintergarten wohnen und fleißig füttern. Andere Methoden
von Natur & Emwelt, wie die Zählung bewohnter und unbewohnter Nester haben
da schon einen weitaus zwingenderen wissenschaftlichen Wert.
Wie dem auch sei, der Schwund der Artenvielfalt, wie sie IPBES meldet, ist
derart dramatisch, dass er einen weltweiten Aufschrei auslösen müsste und Massendemos
gegen die Weigerung der EU, den Glyphosat in der Landwirtschaft endlich zu
verbieten. Von den 5 Weltregionen, die IPBES klassifiziert hat, sind 4 im
ökologischen Defizit, will heißen, sie verbrauchen mehr natürliche Ressourcen
als sie Reserven haben. In Nordamerika ist das Defizit riesig, in Europa groß
genug, in Asien steigend seit 1965, in Afrika erst seit 2005 existent und nur
in Lateinamerika-karibik noch positiv. In Europa will das heißen: Jeder
Europäer konsumiert die Entsprechung von 4,9 „globalen Hektaren“ („hag“), kann
aber nur 3,2 hag produzieren. Nur in Lateinmerika-Karibik gibt es noch, trotz
des Schwundes der Amazonas-Regenwälder, eine Reserve, die aber ebenfalls rückläufig
ist.
Nun wäre es an der Zeit, sich mit diesen Begriffen vertrauter zu machen und
im eigenen Lebensraum Ansätze zur politischen Aktion zu finden. Es sieht danach
aus, als würde die ganze ökologische Frage mit Klimaveränderung, Artensterben,
Vernichtung der Regenwälder, Ausfischen und Vermüllung der Meere, „landrabbing“,
Vergiftung der Böden,...sich zu einer barbarischen Zerstörung der Lebensräume
verdichtet und letztlich nur in einer humanitären Katastrophe enden kann.
Die Kräfteverhältnisse sind nicht gut, sie müssen erst aufgebaut werden.
Der Kapitalismus hat die Erfassung aller Erdengebiete bis auf die letzte
Parzelle ebenso in seinen Genen, wie allgemein das ungebremste Wachstum. Noch
ist der Neoliberalismus auf dem Vormarsch, der erworbene Rechte der Schaffenden
zurückdrängt, was Entmutigung, Individualisierung und Desorganisierung zur
Folge hat und nicht der gesunde Nährboden bietet für eine dringend notwendige Fusion
der sozialen und ökologischen Kämpfe.
Dennoch muss auf den verschiedenen Ebenen, der altermundialistischen, der
nationalen und der lokalen Ebene gegen diese verhängnisvollen Entwicklungen
gekämpft werden. Als Beispiel in Sachen Artenvielfalt fällt mir die kommunale
Ebene ein: im städtischen Bereich ist die Biodiversität manchmal grösser als in
der öden expansiven Landwirtschaft, vorausgesetzt, es werden auch die
entsprechenden Maßnahmen innerorts und um die Wohngebiete herum ergriffen...
Dann hätte auch der Neuntöter wieder eine Chance. In Erwartung einer solchen
neuen Politik installiert die Escher Stadtverwaltung kurzlebige und scheinbare
Gärten auf den Asphalt und die Einwohner bedecken ihre Vorgärten mit Tonnen von
schlackenfarbigen Bruchsteinchen damit kein Kraut aufkommt.
(www.ipbes.net , le Monde)
28.3.2018
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