Sie kommt wohl, die nächste Wirtschaftskrise – doch nennt niemand, welches
ihr Auslöser sein wird. Auch Michel Husson nennt in seinem Beitrag vom 20.
September in „Alencontre“ keinen Auslöser. Er zitiert den britischen Premierminister
von vor 10 Jahren, Gordon Brown: „Wenn die nächste Krise ausbrechen wird werden
wir feststellen, dass wir weder den fiskalischen oder monetären Spielraum haben
noch den Willen, ihn zu gebrauchen.“ ... „Die nötige internationale Kooperation
wird uns fehlen.“ Husson greift in seinem Artikel viel weiter aus und zeichnet
ein übersichtliches und düsteres Bild der Lage der Weltwirtschaft, das wir hier
vereinfacht und ohne Grafiken wiedergeben wollen. An einigen Stellen weicht der
Text von dem Hussons ab.
Kapitalismus in Atemnot und die große Verschiebung der Weltwirtschaft
Seit den Rezessionen von 1974-75 und 1980-82 hat die traditionelle Triade
USA-Europa-Japan mit einer deutlichen Schwächung der Produktivität zu tun. Der
neue Liberalismus hat aber das Kunststück zustande gebracht, die Profitrate
dennoch zu wahren und zu steigern dank einer Verschiebung der politischen und
gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu Gunsten des Kapitals. Der Anteil der
Löhne an der Wertschöpfung wurde zurück gedrängt, der Anteil der Profite stieg.
Parallel dazu stieg die Arbeitsproduktivität seit den 90er Jahren in den
Schwellenländern und den Entwicklungsländern stark an.
Unter dem Impuls der multinationalen Konzerne wurde die einzelnen Glieder
der Produktionskette, die zu den Endprodukten führt, über den Erdball gestreut.
(Die Einzelteile eines Autos oder eines Smartphones stammen aus einer Vielzahl
von Ländern.) Eine Deindustrialisierung der traditionellen Industrieländer
wurde in Kauf genommen, um mit billigeren Arbeitskräften zu produzieren.
Zwischen 2000 und 2018 stieg die industrielle Produktion der Industrieländer um
16 Prozent, die der Schwellenländer um 152 Prozent! In einigen
Schwellenländern, wie China und Südkorea dringt die Produktion nun auch immer
mehr in hochtechnologische Segmente ein.
Heute stimmen die Weltkarte der Staaten und der Kapitalien nicht mehr
überein. Man sollte nicht ehr von einer Asymetrie zwischen imperialistischen
und abhängigen Staaten sprechen sondern von einer ungleichen und kombinierten
Entwicklung unter der Fuchtel der Multis. Letztere produzieren dort, wo es am
billigsten ist und schieben die Profite in die Steuerparadiese. Die internationalen
Institutionen können oder wollen da nicht eingreifen, sie sind kein
internationaler Staat, der Steuern eintreiben und verteilen könnte; die
Globalisierung sträubt sich gegen Regulation. In einem Bereich gilt die alte
Praxis national verankerter Konzerne noch, die von ihrem Nationalstaat (auch
auf kriegerische Weise) beschützt werden: die Absicherung der Rohstoffquellen.
Erschöpfung der Globalisierung und soziale Zersetzung
Alles deutet darauf hin, dass einige der Grundlagen der Globalisierung sich
erschöpfen. Das Wachstum der Produktivität in den Schwellenländern hat sich in
unserer Dekade um 2 Drittel verringert. Die globale Produktionskette, die auf
den Billiglöhnen außerhalb der imperialistischen Welt aufbaute und die es
erlaubte den industriellen Abbau der eigenen Ländern zu kompensieren,
funktioniert nicht mehr in dem Maße wie zu Beginn des Jahrtausends. Der
Welthandel erlebt einen spektakulären Einbruch. Einer der Gründe dafür ist die
Umorientierung der chinesischen Wirtschaft. Der Anteil der Importe, die in
China nur weiterverarbeitet und dann wieder exportiert wurden betrug in den
90ern 40% Prozent, heute noch weniger als 20 Prozent. China bezahlt höhere Löhne,
produziert mehr für den inneren Konsum und hebt die technische Qualität der
Produktion.
Die Schwellenländer anderer Regionen hadern mit den impulsiven
Kapitalbewegungen und der Spekulation und kennen, wie in Lateinamerika, z.T.
schwerste Rezessionen und Währungsschwankungen mit gravierenden sozialen
Krisen.
In allen entwickelten Ländern hat die Globalisierung zu einer sozialen
Zersetzung in den Gesellschaften geführt. Das ist inzwischen auch die Analyse
der internationalen Institutionen, wie dem internationalen Währungsfonds und
der OSZE. Durchgehend steigt die Beschäftigung „von seinen zwei Enden her“,
will heißen am oberen Ende der hohen Qualifikation und am unteren Ende der
prekären Arbeitsplätze. Die sogenannt Mittelklasse stagniert, der Fahrstuhl
fährt nicht mehr nach oben. Die soziale Ungleichheit wächst und die Austerität
und damit mangelnde Umverteilung in vielen Ländern beschleunigen den Prozess.
Ein Aspekt der Globalisierung verstärkt die obigen Tendenzen sehr stark:
die fiskalische Konkurrenz. Die Betriebsbesteuerung der entwickelten Länder lag
zu Beginn der 90er Jahre durchschnittlich bei 44%, heute bei 33%, Tendenz
sinkend, nicht zuletzt wegen Trumps Steuerreform. (Von Luxemburg gar nicht zu
reden.) 2015 waren 40% der Profite der Multinationalen in Steuerparadiesen
gelagert.
Trump - Effekt, Populismus und düstere Prognosen
Trumps Steuerreform zu Gunsten der Betriebe und der Reichen hat kurzfristig
zu einem Aufschwung geführt. Seine Verwaltung handelt kurzfristig und leitet
die Nationalökonomie wie einen Betrieb. So könnten die Halbzeitwahlen für
Repräsentantenhaus und Senat gewonnen werden. Die wenigstens Ökonomen - auch im
Bürgerlichen Lager - können dies nachvollziehen. Die Obsession, den enormen
US-Handelsdefizit ruckartig zu verkleinern, könnte mittelfristig den
gegenteiligen Effekt haben.
Es ist nun eimal so, dass der Welthandel zu fast 2 Drittel aus halbfertigen
Produkten besteht und zu einem guten Drittel aus Fertigprodukten. Im Falle
der USA besteht ein großer Teil der Importe aus eigenen Investierungen etwa in
China oder in Mexiko. Einfuhrzölle belasten also oft die eigene Industrie. Die
Exporte Chinas nach den USA stammten 2014 zu 60% aus „joint ventures“ also aus
Betrieben gemischtem chinesisch-ausländischem Kapital. Teile der amerikanischen
Wirtschaftsbosse befürchten nun, dass unter dem Effekt des „America first“ die
globale Produktionskette und damit ihre ganze Strategie der letzten 20-30
Jahren zusammenbrechen wird. Das Handelsdefizit könnte sogar steigen, das
Defizit der öffentlichen Konten tut es mit Sicherheit. Nun ist es ja bekannt,
dass das amerikanische Staatsdefizit seit langem – über den Dollar – aus dem
Ausland finanziert wird. Das verträgt sich auf die Dauer nicht mit einer
Isolationspolitik.
Die Neuordnung der chinesischen Wirtschaftspolitik betrifft nicht nur die
vermehrte Ausrichtung auf die innere Nachfrage und die Spezialisierung der
Produkte („made in China 2025“) sondern auch auf den (imperialistischen?)
Aufbau neuer Handelswege. Die viel-besprochene neue Seidenstraße soll aus 2
Elementen bestehen, dem „Gürtel“ und der „Straße“, wobei ersterer Kontinental
China mit Europa via Mittelasien und Russland verbinden soll und zweitere, auf
dem Seeweg des indischen Ozeans, China mit Europa und Afrika. Es sieht danach
aus als gehe von China eine ganz neue Form der Neuordnung des Welthandels aus
die ganz anders gepolt ist als der Zollkrieg Trumps.
Die Diskussion über die wahren Ursachen und damit die Perspektiven des
„Populismus“ ist von der Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten
Jahrzehnte nicht zu trennen. In der Financial Times schreibt man: „der
Populismus ist das wirkliche Erbe der Finanzkrise“. Das mag in dem Sinne
geschrieben worden sein, wo die nächste Krise bereits im Nacken sitzt und man
sich die Auswirkungen einer erneuten Krise wie 2007/2008 auf die Anfeuerung des
„Populismus“ nicht aus zu denken vermag. Husson gibt zu bedenken, dass der
Populismus in den am meisten gebeutelten Länder der letzten Krise –
Griechenland, Spanien. Portugal- schwächer ist als in den Ländern des Norden
Europas, die weitaus besser überlebt haben. Man muss sich auch die Frage
stellen. Ob der steigende Fremdenhass nicht mehr sozio-ökonomische als
kulturelle oder identitäre Ursachen hat. Sogar im kleinen Luxemburg hat sich
bei der letzten Wahlkampagne, der man die Etikette der Identität schon
aufgeklebt hatte, sozio-ökonomische Themen schließlich oben standen.
Wenn man alles zusammen fasst, gibt es keinen Grund zum Optimismus: die EU
in Zwietracht, die Schwellenländer Lateinamerikas in der Krise, das Wachstum
der Verschuldung (die hier nur wenig behandelt ist), die Untergrabung des
Sozialstaats, der Unilateralismus Trumps: die Auswirkungen der Krise von
2007-2008 sind verheerend. Nun hat die Globalisierung keinen Piloten mehr.
28.10.2018
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