Sonntag, 28. Oktober 2018

Globalisierung ohne Pilot


Sie kommt wohl, die nächste Wirtschaftskrise – doch nennt niemand, welches ihr Auslöser sein wird. Auch Michel Husson nennt in seinem Beitrag vom 20. September in „Alencontre“ keinen Auslöser. Er zitiert den britischen Premierminister von vor 10 Jahren, Gordon Brown: „Wenn die nächste Krise ausbrechen wird werden wir feststellen, dass wir weder den fiskalischen oder monetären Spielraum haben noch den Willen, ihn zu gebrauchen.“ ... „Die nötige internationale Kooperation wird uns fehlen.“ Husson greift in seinem Artikel viel weiter aus und zeichnet ein übersichtliches und düsteres Bild der Lage der Weltwirtschaft, das wir hier vereinfacht und ohne Grafiken wiedergeben wollen. An einigen Stellen weicht der Text von dem Hussons ab.



Kapitalismus in Atemnot und die große Verschiebung der Weltwirtschaft

Seit den Rezessionen von 1974-75 und 1980-82 hat die traditionelle Triade USA-Europa-Japan mit einer deutlichen Schwächung der Produktivität zu tun. Der neue Liberalismus hat aber das Kunststück zustande gebracht, die Profitrate dennoch zu wahren und zu steigern dank einer Verschiebung der politischen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu Gunsten des Kapitals. Der Anteil der Löhne an der Wertschöpfung wurde zurück gedrängt, der Anteil der Profite stieg. Parallel dazu stieg die Arbeitsproduktivität seit den 90er Jahren in den Schwellenländern und den Entwicklungsländern stark an.

Unter dem Impuls der multinationalen Konzerne wurde die einzelnen Glieder der Produktionskette, die zu den Endprodukten führt, über den Erdball gestreut. (Die Einzelteile eines Autos oder eines Smartphones stammen aus einer Vielzahl von Ländern.) Eine Deindustrialisierung der traditionellen Industrieländer wurde in Kauf genommen, um mit billigeren Arbeitskräften zu produzieren. Zwischen 2000 und 2018 stieg die industrielle Produktion der Industrieländer um 16 Prozent, die der Schwellenländer um 152 Prozent! In einigen Schwellenländern, wie China und Südkorea dringt die Produktion nun auch immer mehr in hochtechnologische Segmente ein.

Heute stimmen die Weltkarte der Staaten und der Kapitalien nicht mehr überein. Man sollte nicht ehr von einer Asymetrie zwischen imperialistischen und abhängigen Staaten sprechen sondern von einer ungleichen und kombinierten Entwicklung unter der Fuchtel der Multis. Letztere produzieren dort, wo es am billigsten ist und schieben die Profite in die Steuerparadiese. Die internationalen Institutionen können oder wollen da nicht eingreifen, sie sind kein internationaler Staat, der Steuern eintreiben und verteilen könnte; die Globalisierung sträubt sich gegen Regulation. In einem Bereich gilt die alte Praxis national verankerter Konzerne noch, die von ihrem Nationalstaat (auch auf kriegerische Weise) beschützt werden: die Absicherung der Rohstoffquellen.

Erschöpfung der Globalisierung und soziale Zersetzung

Alles deutet darauf hin, dass einige der Grundlagen der Globalisierung sich erschöpfen. Das Wachstum der Produktivität in den Schwellenländern hat sich in unserer Dekade um 2 Drittel verringert. Die globale Produktionskette, die auf den Billiglöhnen außerhalb der imperialistischen Welt aufbaute und die es erlaubte den industriellen Abbau der eigenen Ländern zu kompensieren, funktioniert nicht mehr in dem Maße wie zu Beginn des Jahrtausends. Der Welthandel erlebt einen spektakulären Einbruch. Einer der Gründe dafür ist die Umorientierung der chinesischen Wirtschaft. Der Anteil der Importe, die in China nur weiterverarbeitet und dann wieder exportiert wurden betrug in den 90ern 40% Prozent, heute noch weniger als 20 Prozent. China bezahlt höhere Löhne, produziert mehr für den inneren Konsum und hebt die technische Qualität der Produktion.

Die Schwellenländer anderer Regionen hadern mit den impulsiven Kapitalbewegungen und der Spekulation und kennen, wie in Lateinamerika, z.T. schwerste Rezessionen und Währungsschwankungen mit gravierenden sozialen Krisen.

In allen entwickelten Ländern hat die Globalisierung zu einer sozialen Zersetzung in den Gesellschaften geführt. Das ist inzwischen auch die Analyse der internationalen Institutionen, wie dem internationalen Währungsfonds und der OSZE. Durchgehend steigt die Beschäftigung „von seinen zwei Enden her“, will heißen am oberen Ende der hohen Qualifikation und am unteren Ende der prekären Arbeitsplätze. Die sogenannt Mittelklasse stagniert, der Fahrstuhl fährt nicht mehr nach oben. Die soziale Ungleichheit wächst und die Austerität und damit mangelnde Umverteilung in vielen Ländern beschleunigen den Prozess.

Ein Aspekt der Globalisierung verstärkt die obigen Tendenzen sehr stark: die fiskalische Konkurrenz. Die Betriebsbesteuerung der entwickelten Länder lag zu Beginn der 90er Jahre durchschnittlich bei 44%, heute bei 33%, Tendenz sinkend, nicht zuletzt wegen Trumps Steuerreform. (Von Luxemburg gar nicht zu reden.) 2015 waren 40% der Profite der Multinationalen in Steuerparadiesen gelagert.

Trump - Effekt, Populismus und düstere Prognosen

Trumps Steuerreform zu Gunsten der Betriebe und der Reichen hat kurzfristig zu einem Aufschwung geführt. Seine Verwaltung handelt kurzfristig und leitet die Nationalökonomie wie einen Betrieb. So könnten die Halbzeitwahlen für Repräsentantenhaus und Senat gewonnen werden. Die wenigstens Ökonomen - auch im Bürgerlichen Lager - können dies nachvollziehen. Die Obsession, den enormen US-Handelsdefizit ruckartig zu verkleinern, könnte mittelfristig den gegenteiligen Effekt haben.

Es ist nun eimal so, dass der Welthandel zu fast 2 Drittel aus halbfertigen Produkten besteht und zu einem guten Drittel aus Fertigprodukten. Im Falle der USA besteht ein großer Teil der Importe aus eigenen Investierungen etwa in China oder in Mexiko. Einfuhrzölle belasten also oft die eigene Industrie. Die Exporte Chinas nach den USA stammten 2014 zu 60% aus „joint ventures“ also aus Betrieben gemischtem chinesisch-ausländischem Kapital. Teile der amerikanischen Wirtschaftsbosse befürchten nun, dass unter dem Effekt des „America first“ die globale Produktionskette und damit ihre ganze Strategie der letzten 20-30 Jahren zusammenbrechen wird. Das Handelsdefizit könnte sogar steigen, das Defizit der öffentlichen Konten tut es mit Sicherheit. Nun ist es ja bekannt, dass das amerikanische Staatsdefizit seit langem – über den Dollar – aus dem Ausland finanziert wird. Das verträgt sich auf die Dauer nicht mit einer Isolationspolitik.

Die Neuordnung der chinesischen Wirtschaftspolitik betrifft nicht nur die vermehrte Ausrichtung auf die innere Nachfrage und die Spezialisierung der Produkte („made in China 2025“) sondern auch auf den (imperialistischen?) Aufbau neuer Handelswege. Die viel-besprochene neue Seidenstraße soll aus 2 Elementen bestehen, dem „Gürtel“ und der „Straße“, wobei ersterer Kontinental China mit Europa via Mittelasien und Russland verbinden soll und zweitere, auf dem Seeweg des indischen Ozeans, China mit Europa und Afrika. Es sieht danach aus als gehe von China eine ganz neue Form der Neuordnung des Welthandels aus die ganz anders gepolt ist als der Zollkrieg Trumps.

Die Diskussion über die wahren Ursachen und damit die Perspektiven des „Populismus“ ist von der Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte nicht zu trennen. In der Financial Times schreibt man: „der Populismus ist das wirkliche Erbe der Finanzkrise“. Das mag in dem Sinne geschrieben worden sein, wo die nächste Krise bereits im Nacken sitzt und man sich die Auswirkungen einer erneuten Krise wie 2007/2008 auf die Anfeuerung des „Populismus“ nicht aus zu denken vermag. Husson gibt zu bedenken, dass der Populismus in den am meisten gebeutelten Länder der letzten Krise – Griechenland, Spanien. Portugal- schwächer ist als in den Ländern des Norden Europas, die weitaus besser überlebt haben. Man muss sich auch die Frage stellen. Ob der steigende Fremdenhass nicht mehr sozio-ökonomische als kulturelle oder identitäre Ursachen hat. Sogar im kleinen Luxemburg hat sich bei der letzten Wahlkampagne, der man die Etikette der Identität schon aufgeklebt hatte, sozio-ökonomische Themen schließlich oben standen.

Wenn man alles zusammen fasst, gibt es keinen Grund zum Optimismus: die EU in Zwietracht, die Schwellenländer Lateinamerikas in der Krise, das Wachstum der Verschuldung (die hier nur wenig behandelt ist), die Untergrabung des Sozialstaats, der Unilateralismus Trumps: die Auswirkungen der Krise von 2007-2008 sind verheerend. Nun hat die Globalisierung keinen Piloten mehr.

28.10.2018

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