Eine Epidemie erschöpft sich, wenn 60 Prozent der Bevölkerung
durch Ansteckung immunisiert sind. So heißt es in der allgemeinen Lehre der Epidemien. Bleibt zu verifizieren, ob diese allgemeine Lehre auch genau auf das Coronavirus zutrifft denn es ist noch nicht bekannt, wie lange die Immunität der Geheilten hält.
Da die meisten asiatischen und westeuropäischen Länder auf eine Abwehrstrategie gegen den Coronavirus setzen, die auf eine Begrenzung der sozialen Kontakte und unterschiedliche Grade von Ausgangssperren zielen, stellt sich die Frage, was die Regierungen der USA, Großbritanniens und Brasiliens dazu bewegt oder bewegte, hauptsächlich auf die Automatik der Herdenimmunität zu vertrauen und Ausgangssperren nur selektiv in den „hotspots“ zu verhängen. Es ist bekannt, dass Johnson inzwischen eine 180Gradwende verkündet hat.
Was sind nun eigentlich die Unterschiede? Wenn man davon ausgeht, dass das Gesetz der Herdenimmunität universalen Charakter hat, besteht die asiatische und westeuropäische Strategie darin, die Kurve des Höhepunkts der Pandemie nach unten abzurunden und zu verlängern, damit die Spitäler alle oder die meisten Schwerkranken aufnehmen können. Dagegen steht das Vertrauen auf die Selbstheilkräfte der Herdenimmunität mit einer hohen aber zeitlich begrenzten Sterblichkeit und einer schnelleren Rückkehr zur wirtschaftlichen Dynamik.
Die niederländische Regierung sah sich gezwungen, ihren Verlass auf die Herdenimmunität abzustreiten. Es ist bekannt, dass das holländische Gesundheitssystem dermaßen rationalisiert wurde, dass es außerstande ist, größere Zahlen von schwer Erkrankten zu behandeln. In den USA wird Trump nach jeder unqualifizierten Behauptung von den Experten widersprochen. Er und Bolsonaro werden vielleicht das Glück haben, dass der Atlantik (sprich der weitgehend unterbrochene Verkehr darüber) die Wanderung der Viren etwas bremst. Die Zuwachszahlen der letzten Tage lassen aber auf eine andere, bedenkliche Entwicklung schließen. Ähnliche Strategien wie in den Niederlanden betreiben auch Schweden und die Schweiz.
Das sind die gemeinsamen Charakteristiken der Regime wie die von Trump und Bolsonaro und sie stimmen auch weitgehend für die Niederlande; Premier Rütte hat allerdings wenig von einem Populisten. Es gibt in Holland wenig Widerstand gegen seine Strategie. Die Bewältigung eines riesigen Problems, das sich aus der Natur ergibt, wird auf eine politische, neoliberale Weise gelöst, wobei die Theorie der Herdenimmunität herhalten muss, um die Privatwirtschaft zu retten und die „Gesundschrumpfung“ der öffentlichen Gesundheitssysteme weiter zu führen. Es wird dabei die Möglichkeit in Kauf genommen, dass es in kürzester Zeit zu einer Explosion der Infektionen und zu einem Massensterben kommt. Die Kehrtwende Johnsons ist wohl darauf zurück zu führen, dass er eingesehen hat, dass ein Ausrutschen der Herdenimmunität, in Richtung eines schnellen, unkontrollierten „peaks“, das Ende seiner politischen Karriere bedeuten könnte. Denn die Frage der Gesundheitspolitik (Stichwort NHS-National Health Service) ist seit Jahren Politikum und zentrales Streitobjekt. In den USA gilt die Prognose, dass ein austretender Präsident in einer Situation von Rezession nicht wiedergewählt wird...
Es bleibt die Frage zu klären, ob die Politik des „laissez-faire“ in der Coronakrise ausschließlich auf die schnöde wirtschaftsliberale Ausrichtung zurück zu führen ist.
Es gibt wohl einen Zusammenhang zwischen der kulturell „calvinistischen“ Tradition und dem Wirtschaftsliberalismus, wobei der Calvinismus eine eurozentristische Vereinfachung und Zusammenfassung für vielfältige protestantische Strömungen wäre. Dass alte oder gebrechliche Menschen, die dem Gesundheitssystem ohnehin viel Geld kosten, Opfer einer Infektionswelle werden, die aus der Natur kommt und ohne Fremdeinwirkung abläuft, wird in verschiedenen Kulturkreisen geduldet, in anderen als inakzeptabel empfunden. Die Tatsache, dass in Holland die öffentliche Meinung bisher Premier Rütte nicht entgegenschlägt, deutet darauf hin, das der kulturelle Aspekt durchaus eine große Rolle spielt. Ob diese Tradition in der breiten Öffentlichkeit auch noch Bestand hat, wenn die Altenheime sich leeren und viele Familienmitglieder oder Bekannte mit dauerhaften Krankheiten („comorbitité“) sterben, ist eine andere Frage.
Dennoch ist die bestimmende Frage die der wirtschaftsliberalen Ausrichtung der politischen Mehrheiten. Trump äußerte am 24. März, er wolle, dass zu Ostern die Geschäfte alle wieder geöffnet seien und die Kirchen gefüllt. Zu Ostern wird der „peak“ der Epidemie in den USA erwartet! Eine Rezession berge mehr gesundheitliche Gefahren als die Pandemie! Für Trump wie für seinen Freund Bolsonaro – beide lügen schneller als ihre Schatten – gilt, dass sie die Medienszene beherrschen und das fast rund um die Uhr. So ist es auch zu erklären, dass Trumps Beliebtheitswert sprunghaft angestiegen ist...Es gibt nur ihn, den man hören und sehen kann. Doch Beliebtheitswerte sind Schäume.
Die Rezession ist unabwendbar. Die Wirtschaft ist weltweit im freien Fall. Seit dem Höhepunkt der Börsenkurse der Wallstreet im Februar wurden 37% des Börsenkapitals vernichtet. Seit der Wahl Trumps sind nun 10.000 Milliarden $ verflogen! Riesenunternehmen wie Boeing sind virtuell in Konkurs, der Einzelhandel steht, wie in Europa, still. Im Gegensatz zu Europa, wo es Entschädigungen für Teilzeitarbeit gibt, stehen amerikanische Arbeitslose ohne Krankenversicherung da. Der Tresor soll nun jedem Erwachsenen 1000$ zukommen lassen, wenn es denn stimmt und wenn die sanitäre Krise nur einen Monat dauert, was undenkbar ist.
De Rezession ist nun aber keine rein amerikanische Gewissheit, sondern eine weltweite. Als Gegenreaktion werden alle disziplinierende Maßnahmen, wie die 3% Mehrverschuldungsgrenze in der EU, außer Kraft gesetzt. Die FED macht wieder „quantative easing“, das heißt sie kauft den Banken Staatsanleihen ab, was dem Gelddrucken gleichkommt. Die angekündigten Wirtschaftsförderungsprogramme erreichen kolossale Höhen. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die beiden Modelle („bleif doheem“ oder Herdenimmunität) gar nicht sosehr.
Das Gelddrucken und die neue Staatsverschuldung (sogar im schwarze-Null-Land Bundesrepublik) erinnern an eine Strategie, wie sie in den Nachkriegszeiten betrieben wurde. Premier Boettel spricht von einem Marshallplan für die luxemburgische Wirtschaft , doch kommt das Marshallgeld diesmal aus der eigenen Tasche. In der Tat begreift die wirtschaftliche Krise diesmal nicht vor allem den Bankensektor sondern alle Sektoren von den großen Industrieproduzenten, über die Transportindustrie bis zum kleinen Handel. Diese Rezession wird tiefgreifender sein als die von 2008. Die Prognosen, die man lesen kann, betreffen vornehmlich das 2. Quartal 2020. Das ist witzlos. Die Frage, die sich stellt, ist nicht ein Einbruch von 20% für T02/2020 sondern die Dauer des PIB-Einbruchs.
„Rien ne sera plus comme avant“ prophezeite Frankreichs Präsident Macron. Das wäre zu hoffen. Und doch laufen die Rettungsprogramme der Großen dieser Welt darauf hinaus, dass das liberale Wirtschaftssystem, die Globalisierung, die Zerstörung des Planeten und die immer größere Spanne zwischen arm und reich wie gehabt widerhergestellt werden soll. Man muss den Satz Macrons mit anderem Inhalt auffüllen. Diese Krise ist so tief, dass ein weltweiter Paradigmenwechsel möglich sein könnte, wenn die Vertreter einer anderen Welt ihre Stimme erheben. Im Moment ist die breite Öffentlchkeit auf das Ziel ausgerichtet, Menschenleben zu retten. Danach wird es darum gehen, die Menschenleben auf einem Planeten lebenswert zu machen, der von dem Virus der kapitalistischen Selbstzerstörung geheilt ist.
Frank Jost 25.3.2020
durch Ansteckung immunisiert sind. So heißt es in der allgemeinen Lehre der Epidemien. Bleibt zu verifizieren, ob diese allgemeine Lehre auch genau auf das Coronavirus zutrifft denn es ist noch nicht bekannt, wie lange die Immunität der Geheilten hält.
Da die meisten asiatischen und westeuropäischen Länder auf eine Abwehrstrategie gegen den Coronavirus setzen, die auf eine Begrenzung der sozialen Kontakte und unterschiedliche Grade von Ausgangssperren zielen, stellt sich die Frage, was die Regierungen der USA, Großbritanniens und Brasiliens dazu bewegt oder bewegte, hauptsächlich auf die Automatik der Herdenimmunität zu vertrauen und Ausgangssperren nur selektiv in den „hotspots“ zu verhängen. Es ist bekannt, dass Johnson inzwischen eine 180Gradwende verkündet hat.
Was sind nun eigentlich die Unterschiede? Wenn man davon ausgeht, dass das Gesetz der Herdenimmunität universalen Charakter hat, besteht die asiatische und westeuropäische Strategie darin, die Kurve des Höhepunkts der Pandemie nach unten abzurunden und zu verlängern, damit die Spitäler alle oder die meisten Schwerkranken aufnehmen können. Dagegen steht das Vertrauen auf die Selbstheilkräfte der Herdenimmunität mit einer hohen aber zeitlich begrenzten Sterblichkeit und einer schnelleren Rückkehr zur wirtschaftlichen Dynamik.
Die niederländische Regierung sah sich gezwungen, ihren Verlass auf die Herdenimmunität abzustreiten. Es ist bekannt, dass das holländische Gesundheitssystem dermaßen rationalisiert wurde, dass es außerstande ist, größere Zahlen von schwer Erkrankten zu behandeln. In den USA wird Trump nach jeder unqualifizierten Behauptung von den Experten widersprochen. Er und Bolsonaro werden vielleicht das Glück haben, dass der Atlantik (sprich der weitgehend unterbrochene Verkehr darüber) die Wanderung der Viren etwas bremst. Die Zuwachszahlen der letzten Tage lassen aber auf eine andere, bedenkliche Entwicklung schließen. Ähnliche Strategien wie in den Niederlanden betreiben auch Schweden und die Schweiz.
Liberalismus, Populismus, Sozialabbau, schlanker Staat, Privatisierung
Das sind die gemeinsamen Charakteristiken der Regime wie die von Trump und Bolsonaro und sie stimmen auch weitgehend für die Niederlande; Premier Rütte hat allerdings wenig von einem Populisten. Es gibt in Holland wenig Widerstand gegen seine Strategie. Die Bewältigung eines riesigen Problems, das sich aus der Natur ergibt, wird auf eine politische, neoliberale Weise gelöst, wobei die Theorie der Herdenimmunität herhalten muss, um die Privatwirtschaft zu retten und die „Gesundschrumpfung“ der öffentlichen Gesundheitssysteme weiter zu führen. Es wird dabei die Möglichkeit in Kauf genommen, dass es in kürzester Zeit zu einer Explosion der Infektionen und zu einem Massensterben kommt. Die Kehrtwende Johnsons ist wohl darauf zurück zu führen, dass er eingesehen hat, dass ein Ausrutschen der Herdenimmunität, in Richtung eines schnellen, unkontrollierten „peaks“, das Ende seiner politischen Karriere bedeuten könnte. Denn die Frage der Gesundheitspolitik (Stichwort NHS-National Health Service) ist seit Jahren Politikum und zentrales Streitobjekt. In den USA gilt die Prognose, dass ein austretender Präsident in einer Situation von Rezession nicht wiedergewählt wird...
Es bleibt die Frage zu klären, ob die Politik des „laissez-faire“ in der Coronakrise ausschließlich auf die schnöde wirtschaftsliberale Ausrichtung zurück zu führen ist.
Calvinistischer Rationalismus oder Priorität der Wirtschaft vor der Volksgesundheit
Es gibt wohl einen Zusammenhang zwischen der kulturell „calvinistischen“ Tradition und dem Wirtschaftsliberalismus, wobei der Calvinismus eine eurozentristische Vereinfachung und Zusammenfassung für vielfältige protestantische Strömungen wäre. Dass alte oder gebrechliche Menschen, die dem Gesundheitssystem ohnehin viel Geld kosten, Opfer einer Infektionswelle werden, die aus der Natur kommt und ohne Fremdeinwirkung abläuft, wird in verschiedenen Kulturkreisen geduldet, in anderen als inakzeptabel empfunden. Die Tatsache, dass in Holland die öffentliche Meinung bisher Premier Rütte nicht entgegenschlägt, deutet darauf hin, das der kulturelle Aspekt durchaus eine große Rolle spielt. Ob diese Tradition in der breiten Öffentlichkeit auch noch Bestand hat, wenn die Altenheime sich leeren und viele Familienmitglieder oder Bekannte mit dauerhaften Krankheiten („comorbitité“) sterben, ist eine andere Frage.
Dennoch ist die bestimmende Frage die der wirtschaftsliberalen Ausrichtung der politischen Mehrheiten. Trump äußerte am 24. März, er wolle, dass zu Ostern die Geschäfte alle wieder geöffnet seien und die Kirchen gefüllt. Zu Ostern wird der „peak“ der Epidemie in den USA erwartet! Eine Rezession berge mehr gesundheitliche Gefahren als die Pandemie! Für Trump wie für seinen Freund Bolsonaro – beide lügen schneller als ihre Schatten – gilt, dass sie die Medienszene beherrschen und das fast rund um die Uhr. So ist es auch zu erklären, dass Trumps Beliebtheitswert sprunghaft angestiegen ist...Es gibt nur ihn, den man hören und sehen kann. Doch Beliebtheitswerte sind Schäume.
Rezession ohnehin
Die Rezession ist unabwendbar. Die Wirtschaft ist weltweit im freien Fall. Seit dem Höhepunkt der Börsenkurse der Wallstreet im Februar wurden 37% des Börsenkapitals vernichtet. Seit der Wahl Trumps sind nun 10.000 Milliarden $ verflogen! Riesenunternehmen wie Boeing sind virtuell in Konkurs, der Einzelhandel steht, wie in Europa, still. Im Gegensatz zu Europa, wo es Entschädigungen für Teilzeitarbeit gibt, stehen amerikanische Arbeitslose ohne Krankenversicherung da. Der Tresor soll nun jedem Erwachsenen 1000$ zukommen lassen, wenn es denn stimmt und wenn die sanitäre Krise nur einen Monat dauert, was undenkbar ist.
De Rezession ist nun aber keine rein amerikanische Gewissheit, sondern eine weltweite. Als Gegenreaktion werden alle disziplinierende Maßnahmen, wie die 3% Mehrverschuldungsgrenze in der EU, außer Kraft gesetzt. Die FED macht wieder „quantative easing“, das heißt sie kauft den Banken Staatsanleihen ab, was dem Gelddrucken gleichkommt. Die angekündigten Wirtschaftsförderungsprogramme erreichen kolossale Höhen. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die beiden Modelle („bleif doheem“ oder Herdenimmunität) gar nicht sosehr.
Das Gelddrucken und die neue Staatsverschuldung (sogar im schwarze-Null-Land Bundesrepublik) erinnern an eine Strategie, wie sie in den Nachkriegszeiten betrieben wurde. Premier Boettel spricht von einem Marshallplan für die luxemburgische Wirtschaft , doch kommt das Marshallgeld diesmal aus der eigenen Tasche. In der Tat begreift die wirtschaftliche Krise diesmal nicht vor allem den Bankensektor sondern alle Sektoren von den großen Industrieproduzenten, über die Transportindustrie bis zum kleinen Handel. Diese Rezession wird tiefgreifender sein als die von 2008. Die Prognosen, die man lesen kann, betreffen vornehmlich das 2. Quartal 2020. Das ist witzlos. Die Frage, die sich stellt, ist nicht ein Einbruch von 20% für T02/2020 sondern die Dauer des PIB-Einbruchs.
„Rien ne sera plus comme avant“ prophezeite Frankreichs Präsident Macron. Das wäre zu hoffen. Und doch laufen die Rettungsprogramme der Großen dieser Welt darauf hinaus, dass das liberale Wirtschaftssystem, die Globalisierung, die Zerstörung des Planeten und die immer größere Spanne zwischen arm und reich wie gehabt widerhergestellt werden soll. Man muss den Satz Macrons mit anderem Inhalt auffüllen. Diese Krise ist so tief, dass ein weltweiter Paradigmenwechsel möglich sein könnte, wenn die Vertreter einer anderen Welt ihre Stimme erheben. Im Moment ist die breite Öffentlchkeit auf das Ziel ausgerichtet, Menschenleben zu retten. Danach wird es darum gehen, die Menschenleben auf einem Planeten lebenswert zu machen, der von dem Virus der kapitalistischen Selbstzerstörung geheilt ist.
Frank Jost 25.3.2020
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